Es war einmal … etwa drei Tage vor Weihnachten – spät abends.
Über den Marktplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen.
Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die Mauer die Worte
„Ausländer raus“ und „Deutschland den Deutschen“.
Plötzlich ertönten leise Stimmen:
„Los komm, jetzt ist es genut. Wir gehen!“
„Was sollen wir denn da unten im Süden?“
„Das ist immerhin unsere Heimat. Hier wird es immer schlimmer.“
Und tatsächlich. Mitten in der Nacht kam Bewegung in die kleine Stadt.
Die Türen der Geschäfte sprangen auf. Zuerst kamen die Kakaopäckchen heraus
mit Schokoladen und Pralinen in ihrer Weihnachtsverkleidung. Sie wollten nach
Ghana und Westafrika, denn da waren sie zu Hause. Dann kam der Kaffee,
palettenweise: Uganda, Kenia und Lateinamerika waren seine Heimat.
Ananas und Bananen räumten ihre Kisten, auch die Trauben und Erdbeeren aus Südafrika.
Fast alle Weihnachtsleckereien brachen auf. Pfeffernüsse, Spekulatius und Zimtsterne,
die Gewürze in ihrem Inneren zog es nach Indien.
Der Dresdner Christstollen zögerte. Man sah Tränen in seinen Augen, als er zugab:
Mischlingen wie mir geht’s besonders an den Kragen. Mit ihm gingen das Lübecker
Marzipan und der Nürnberger Lebkuchen. Nicht Qualität, nur Herkunft zählte jetzt.
Es war schon in der Morgendämmerung, als die Schnittblumen nach Kolumbien aufbrachen
und die echten Pelzmäntel mit Gold und Edelsteinen an ihrer Seite in teuren Chartermaschinen
in alle Welt starteten.
Der Verkehr brach an diesem Tag zusammen … Lange Schlangen japanischer Autos
krochen gen Osten. Am Himmel sah man Züge von Weihnachtsgänse nach Polen fliegen,
gefolgt von den Seidenhemden und den Teppichen aus Asien.
Man musste sich vorsehen, um nicht auszurutschen, denn von überall her quoll Öl und
Benzin hervor, floss in Rinnsalen und Bächen zusammen in Richtung Naher Osten.
Autos begannen sich aufzulösen in ihre Einzelteile, das Aluminium wanderte nach Jamaika,
das Kupfer nach Somalia, fast die Hälfte der Eisenteile nach Brasilien, der Naturkautschuk nach Zaire.
Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, der Auszug geschafft, gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest.
Nichts Ausländisches war mehr im Land. Aber Tannenbäume gab es noch, auch Äpfel und Nüsse.
Und die „Stille Nacht“ durfte gesungen werden – allerdings nur mit Extragenehmigung,
das Lied kam immerhin aus Österreich! Nur eines wollte nicht so recht in das Bild passen,
das Kind in der Krippe, sowie Maria und Josef – sie waren geblieben.
Drei Juden – ausgerechnet …
angelehnt an Helmut Wöllenstein